Samstag, 23. Februar 2013

Vertical UP(23.2.2013), Kitzbühel

Am SA 23.02.2013, 18:30 Uhr
Klassen: „Speed Klasse“
Streckenname: Streif
Start: 805 m
Ziel: 1665 m
Höhendifferenz: 860 hm
Streckenlänge:3312 m
Ø Neigung: 27 %
Max./Min. Neigung:85 % / 2 %


Bitterkalte Minuten. Zumindest für jene, die es ernst meinen und nehmen. In der Rennklasse. Um mit geringst möglichem Gewicht die optimale Leistung aufs Eis zu zaubern. Eis bei maximal 85% Steigung und minimaler Ausrüstung.

Das über die steilsten Passagen liegende Eis der Streif schickt ihre Kälte durch die dünnen Schuhsohlen der Teilnehmer. Einige Mutige wagen sich mit Millimeter hohen und Spikes versehenen Sohlen für die Tartanbahn diverser 400m Leichathletik-Stadienrunden an den Start. Und die Spikes scheinen die Kälte noch ärger aus dem Boden in die Füße der Athleten zu ziehen. Oben keiner jener zart-Beschuhten, die sich nicht am Boden sitzend im Ziel die Zehen mit ihren Händen versuchen wieder warm zu bekommen. Die Kälte spürt man allerdings nur nach und unmittelbar vor dem Wettkampf. Während des Vertical UP selbst hört man lediglich den eigenen Atem oder den der Gegner, nachdem der Startschuss gefallen ist und es sofort den Zielschuss der Streif in umgekehrter Manier nicht senkrecht runter, dafür fast (gefühlt) überhängend hochgeht. So kommt es einem fast vor.

Man lässt sich anstecken von der wie irre los startenden Masse und sprintet sogleich, was die Oberschenkel hergeben, die Piste hoch. Den anderen hinterher. Die Vorderen geben die Route vor - das deren Handicap, auf der anderen Seite finden sie noch eine unzertrampelte, jungfräuliche und abgesehen der Steilheit doch noch verhältnismäßig einfachere Streif. Je weiter hinten, desto tiefer gräbt man sich ein. Mit jedem Schritt, der die Spur mehr und mehr zerstört. Dann lieber vorne. Schnellen Schritts. Von Laufen ist im Steilhang weit und breit keine Spur mehr. Das Herz hängt einem dennoch an der Zunge und beim Hals heraus. Alles vor kurzem Gegessene rächt sich mittlerweile bitter böse. Der eine oder andere nicht-weiße-Fleck soll auf der Streif gesichtet worden sein und ich mir auf der Hausbergkante die Frage stelle, wo das noch enden sollte. Eines ist klar: einmal gestartet heißt ins Ziel kommen müssen, denn oben wartet der Rucksack mit warmen Sachen.

Also weiter. Kurz einmal langsamer. Durchschnaufen. Ich schere aus der Spur aus, lasse meinen Nachfolgenden Mitstreitern - oder Anlass gemäß Mit-Streif-ern, den Vorrang. Das tut gut im Kopf. Einmal nicht die Nase in den Wind heben zu müssen, der einem über der Hausbergkante klirrend ins Gesicht bläst. Windschatten. Bei sage und schreibe 4 km/h.

Vorbei am Lärchenschuss. ….schuss was? Unser aller Haltung ist aufrechten Oberkörpers. Die Stöcke – die, die welche mit sich führen - nicht in den Achseln, sondern Schritt für Schritt gegengleich zu den Schritten in den Schnee zum Stützen gesetzt. Aus einem Zweibeiner wird quasi ein Allradantrieb. Aerodynamik sieht jedenfalls anders aus. Wenigstens der Grip stimmt.

Links vorbei an der Seidlalm, über den Seidlalmsprung? - ich habe jedenfalls nicht abgehoben - hinein in die alte Schneise. Wer hier zu kurze Spikes hat, den bestraft die Streif pickelhart. Es hat keinen Halt. Bei Schräglage von annähernd 45 Grad. Des Hangs, meine ich. Der eine oder andere mag schon kräftelos torkeln, dass auch so die 45 Grad zustande kommen könnten aber nein, ich meine den erbarmungslos sich zur Seite neigenden Hang!

Die von unten ersichtliche Kante ist das rettende Ufer. Sofern man je den Blick nach oben wagt, um ja keinen Fehltritt zu machen. Endlich geht es flach. Ausrasten. Was auch immer das beim Vertical UP bedeuten mag und kann. Ihr müsst das Vertical UP selbst einmal teilgenommen haben, um es für euch selbst definieren zu können.

Umzuschalten vom bis jetzt größtenteils Gehen ins jetzt-wieder-Laufen-sollen, ist einfacher gesagt, als getan. Rhythmus suchen. Wo ist der bloß? Der Rhythmus! Fragezeichen????? Vermutlich schon am Zielschuss, in unserem Fall am Startschuss, liegen geblieben.

Der flache Brückenschuss zurückgelegt, türmt sich nun die Steilhang Ausfahrt vor einem auf. Zuerst leicht, dann mit zunehmender Steilheit, bis hin zur fast Unbezwingbarkeit. Die beste Linie ist nicht die außen anzulaufen und dann nach innen zu schneiden, sondern die, wo man am meisten Grip findet. Also sicher nicht die kürzeste Variante. Man nimmt den längeren Weg in Kauf, hat dafür keine Schräge, sondern das blanke Eis bei der Vorlage bei 85% Steilheit fast an der Nase. Ach, schon fast vergessen: das Herz hängt ja immer noch an der Zunge, und die beim Hals heraus. Der Puls - nach mittlerweile schon über 30 Minuten Kampf ermattet und gesunken - steigt im Ausmaß mit dem vor sich aufbäumenden Gelände. STARK. Ebenso der Blutdruck und der des eigenen Schweinehundes, der sich erstmals lautstark und dennoch für niemanden hörbar zu Wort meldet: "Sau, wann hört die steile Sau endlich auf!"

Kenner der Streif würden nun cool sagen "an der Einfahrt zum Steilhang", aber das ist ja unsere "Ausfahrt". Auf allen 4 kriechen wir alle über die Kante und das Herz nun vollends woanders, als es hingehört. Es schlägt nicht mehr, es rast. Den 180° Rechtsschwung der Originalstrecke - das Karussell - kürzen wir ab. Es geht in der direkten Falllinie Richtung Mausefalle. Und auch ohne Karussell wird sich manch einem der Kopf drehen, dann nämlich, wenn man es zu schnell abgekürzt hat ….

Hinein in die Kompression, die bei 5km/h einen nicht wirklich in die Knie zwingt. Schon eher die nächste, hell erleuchtete und zugleich letzte Schlüsselstelle der Vertical UP – die Mausefalle.

Es heißt die letzten Kräfte zu mobilisieren - nur jetzt sich keine Blöße geben - wo doch Zuschauer den Streckenrand säumen. Durch das dichte Spalier frenetisch anfeuernder Fans, die man eigentlich nur am Rande ganz weit weg hört, weil man so auf die eisige Strecke konzentriert ist. Die Mausefalle ist schon vielen Athleten zum Verhängnis geworden. In beiden Richtungen. Hinauf wie hinunter. Ein falscher Tritt in unserem Fall und die Mausefalle wird ihrem Namen vollends gerecht. Sie kann zur Falle werden, wenn man unbedachten Schrittes wieder ganz hinunter rutscht und ein zweites Mal hinauf müsste. Das will keiner. Also sich lieber noch nicht in der Menge der applaudierenden Zuseher baden, sondern konzentriert die sich auftuenden Buckel geschickt schlucken. Dort den Fuß setzen, wo der Untergrund am härtesten zu sein scheint und man im weichen Schnee keinen Kraftverlust erleidet, weil man einsinkt. Konzentration ist das Gebot der Stunde.

Die letzten Meter. Das Starthaus. Unser Ziel ist in Sichtweite. Und doch noch so weit entfernt. Weiter als einem lieb ist. Der innere Schweinehund ist abgehängt. Er hat den Kampf gegen die Mausefalle verloren und kann einem nichts mehr anhaben. Wir haben ihn für heuer auf der Streif abgehängt. Der Fokus ist voll und ganz in Richtung Ziel gelenkt. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Nur mehr gerade aus. Ins Ziel. Der Muskel übersäuert bei den letzten Schritten, will man sich doch von niemandem mehr überholen lassen und dann durchquert man erleichtert das Ziel.

„YES“, ballen wir innerlich die Faust und die Freude ist jedem Teilnehmer anzumerken die Streif bezwungen zu haben. Die Zeit spielt dabei keine Rolle 0:47:58,8 und 74.Platz, denn bis zum nächsten Start 2014 tickt noch viel Zeit!!.